
"Historisch": Deutschland und Großbritannien unterzeichnen Freundschaftsvertrag

Deutschland und Großbritannien haben erstmals in ihrer Geschichte einen Freundschaftsvertrag zur Vertiefung ihrer Zusammenarbeit unterzeichnet. "Dieser Vertrag soll unsere Beziehungen für viele Jahre und Jahrzehnte prägen", sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Donnerstag bei einer gemeinsamen Pressebegegnung mit dem britischen Premierminister Keir Starmer nördlich von London. Fünfeinhalb Jahre nach dem Brexit vereinbarten beide Länder damit eine engere Kooperation insbesondere in den Bereichen Verteidigung, Handel, Migration und Jugendaustausch.
Der Vertrag solle "die Freiheit, die Sicherheit und den Wohlstand unserer beiden Länder sichern", sagte Merz bei der Pressebegegnung im Airbus-Werk im englischen Stevenage. "Das ist die große Verabredung, die wir heute gemeinsam getroffen haben", fügte der Kanzler hinzu und skizzierte die Bedingungen, unter denen die "historische" Vereinbarung getroffen worden sei: "Großbritannien hat zu meinem großen und anhaltenden Bedauern die Europäische Union verlassen, Russland rüttelt an der europäischen Sicherheitsarchitektur und die transatlantischen Beziehungen verändern sich so wie lange nicht gesehen."
Mit der Unterzeichnung des Vertrages sei ein "praktischer Arbeitsplan" für 17 Großprojekte verabschiedet worden, sagte Starmer in Stevenage. So würden Deutschland und Großbritannien unter anderem ihre Verteidigungsindustrien zusammenbringen, "um die Verteidigungsexporte um Milliarden von Pfund zu steigern", sagte der Premierminister.
Vor dem Hintergrund des russischen Kriegs in der Ukraine soll laut Vertrag zudem besonders die Abschreckung und Verteidigung an der Nord- und Ostflanke der Nato gestärkt werden. Bei der Rüstungszusammenarbeit hatten Deutschland und Großbritannien bereits im Mai angekündigt, gemeinsam an Raketen mit einer Reichweite von 2000 Kilometern arbeiten zu wollen.
Die Verbündeten betonen in dem Vertrag ihr "tiefes Bekenntnis zur gegenseitigen Verteidigung" und versichern, dass sie sich "im Fall eines bewaffneten Angriffs auf die andere Vertragspartei" gegenseitig beistehen - "auch durch militärische Mittel". In dem Vertrag heißt, es gebe "keine strategische Bedrohung für die eine Vertragspartei (...), die nicht auch eine strategische Bedrohung für die andere wäre".
Gemäß Artikel fünf des Nordatlantikvertrags sind die Nato-Mitgliedstaaten Deutschland und Großbritannien bereits verpflichtet, sich im Falle eines Angriffs gegenseitig Beistand zu leisten - wie alle anderen Mitgliedsländer auch.
Bislang hat die Bundesrepublik bei der Verteidigung vor allem auf die USA gebaut. Seit dem Wiedereinzug von Donald Trump ins Weiße Haus wird in Deutschland jedoch diskutiert, enger mit den beiden europäischen Atommächten Großbritannien und Frankreich zusammenzuarbeiten, um die eigene Verteidigung zu gewährleisten.
Für das Thema Migration - sowohl für Merz als auch für Starmer von großer Bedeutung - sieht der Vertrag ebenfalls eine engere Zusammenarbeit vor. London hofft auf Unterstützung aus Berlin beim Vorgehen gegen die irreguläre Migration. Dazu will die Bundesregierung nach Angaben aus London eine Gesetzesänderung vornehmen, um Schleusern das Handwerk zu legen und die Lieferung von Booten zu unterbinden, "die illegale Migranten über den Ärmelkanal" nach Großbritannien bringen.
Deutschland wird von Ermittlern regelmäßig als einer der Stützpunkte genannt, an denen Schlepper Schlauchboote für die Überfahrt über den Ärmelkanal lagern. Zuletzt war die Zahl der Migranten, die den Ärmelkanal irregulär überquerten, deutlich gestiegen.
Der Vertrag soll nach dem Brexit aber auch die wirtschaftlichen Beziehungen stärken. "Unsere wirtschaftlichen Verbindungen unterstützen bereits eine halbe Million britischer Arbeitsplätze", sagte Starmer in Stevenage. Mit der Vereinbarung sollten auch Geschäftsreisen zwischen Deutschland und Großbritannien wieder einfacher werden. Desweiteren beinhaltet der Vertrag auch Vereinbarungen in den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Bildung. So wird im Bereich der Künstlichen Intelligenz eine enge Zusammenarbeit angestrebt.
Besonders hob Merz den Bereich des Jugendaustausches vor. "Wir wollen die Mobilität von Kindern, Jugendlichen und Studenten stärken", sagte der Bundeskanzler. In diesem Bereich sei der Brexit "besonders schmerzlich spürbar geworden". "Umso mehr freut es mich, dass Großbritannien wieder sogenannte Schülersammellisten einführt." Diese Listen für Klassenreisen ins Ausland machten "Besuche von Schulklassen unkompliziert möglich, ohne Reisepass und ohne Visum", fügte Merz hinzu. Der Austritt Großbritanniens aus der EU hatte Schüler- und Studentenaustauschprogramme erheblich erschwert.
Außerdem sollen Bahnverbindungen verbessert werden. Im vergangenen Monat hatte das Bahnunternehmen Eurostar angekündigt, bis Anfang der 2030er erstmals eine Direktverbindung zwischen Frankfurt am Main und London anbieten zu wollen.
Großbritannien war am 31. Januar 2020 aus der EU ausgetreten. Seitdem gibt es Bemühungen um eine Wiederannäherung. In der vergangenen Woche war der französische Präsident Emmanuel Macron in Großbritannien. Dabei beschlossen beide Politiker eine Koordinierung im Bereich der nuklearen Abschreckung.
G.Aguilar--HdM